Fotografie aus der Ukraine (1)

Ich war bei der Recherche für diesen Blogbeitrag auf Internet-Recherchen angewiesen, zusätzlich bin ich weder des Russische noch des Ukrainischen mächtig. Follower meines Blogs sind herzlich eingeladen, weitere Informationen beizusteuern!

Aus aktuellem Anlass möchte ich mich diesmal mit Streetfotografie in der Ukraine beschäftigen. Es ist eine gute Möglichkeit, etwas über das Leben, die Verfasstheit und die Atmosphäre in einer Stadt oder in einem Land zu lernen, wenn man die Möglichkeit hat, Fotos aus dem Alltag zu sehen. So, wie die Fotografinnen und Fotografen den Moment erlebt und gefühlt haben, in dem sie den Auslöser gedrückt haben. 

Angesichts eines unglaublichen infowars, indem die Propagandamaschine einer imperialistischen Großmacht die Bevölkerung eines kleineren Landes dämonisiert und taxfrei als nazistisch verteufelt, ist es gut, Menschen einmal in ihrer Umgebung und in ihrem Alltag sehen zu können. Das ist der erste Teil, der als Einstieg in die Thematik gedacht ist.

Ein bisschen Fotogeschichte 

Seit dem 18 Jahrhundert war der größte Teil der Ukraine unter russischer Herrschaft, allerdings gab es auch Gebiete, die von der Habsburgermonarchie regiert wurden. Nach dem Ende der k&k-Monarchie entstand eine kurzlebige Westukrainische Volksrepublik. Schon 1919 wurde das Territorium dieses Staatsgebilde mit Gewalt auf die Nachbarstaaten Rumänien, Polen, Ungarn und Tschechoslowakei aufgeteilt. Diese besondere Situation führte zu einer höchst diversifizierten ukrainischen Kultur, die nicht einheitlich war, sondern sehr wesentlich von den regionalen Besonderheiten der  großen Städte Lviv, Odessa, Kiew und Kharkiv und deren Einzugsgebieten geprägt war.

Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich die ersten fotografischen Gesellschaften, zum Beispiel 1891 der “Club der Liebhaber der fotografischen Kunst” in Lviv. Die nationale Zerrissenheit machte aber auch vor den organisierten Fotografen und Fotografinnen nicht halt. So orientieren sich die fotografischen Gesellschaften Kopernik (1909) und Gremium fotografow (1910)  in erster Linie an der polnischen Fotografie.

Im russischen Teile der Ukraine waren die Zentren der Fotografie in Kyiw, Kharkiv, Odessa und Poltava. 1886 war in Odessa eine fotografische Gesellschaft gegründet worden. Unter anderem organisierte sie Fotokurse und eine Art Fortbildungsinstitut für Fotografen. Die Zeitschrift der Gesellschaft war stilbildend. Zwischen 1912 und 1914 gab es in Odessa mehr als 60 Fotostudios.

In Kyiv gründete sich 1901 die Daguerre-Gesellschaft. Geistig dominierte Mykola Petrov, ein angesehener Kulturkritiker, die Gesellschaft. Er war der Erste, der einen Austausch von fotografischen Arbeiten zwischen den verschiedenen Städten anregte. So konnte die Daguerre-Gesellschaft zwischen 1908 und 1911 sogar große Ausstellungen unter Beteiligung europäischer und amerikanischer Fotografen organisieren.

Eine bedeutende Rolle kommt Oleksiy Ivanitsky zu. Er porträtierte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur wichtige ukrainische Künstler und Intellektuelle, sondern war auch vom technischen Fortschritt seiner Zeit und den architektonischen Innovationen begeistert. Diese Faszination schlug sich unter anderem in einer aufsehenerregenden Fotoserie aus dem Donbas nieder. Neben der Darstellung der vom Bergbau geprägten Landschaft gab es auch Fotos von Arbeitsabläufen in und um die Minen.

Mit der Errichtung einer neuen Hauptstadt in Kharkiv in den 20er Jahren änderte sich auch die Orientierung der ukrainischen Fotografie. Die piktoralistische Kyiver Schule wurde nun durch eine konstruktivistische Fotografie abgelöst. Die stalinistische Konterrevolution, die nicht nur die Unterdrückung der nichtrussischen Bevölkerungsschichten der Sowjetunion mit sich brachte, forderte auch in den darstellenden Künsten einen hohen Tribut. Inhaltlich und formal wurde die Fotografie dem Diktat des “Sozialistischen Realismus” unterworfen.

Der stalinistische Terror, die Zwangsumsiedlung ganzer Völker (Krimtataren, Wolfadeutsche…), der Terror der autochthonen ukrainischen Faschisten (Bandera) und die Massenmorde an Jüdinnen und Juden unter der Nazi-Besatzung prägte auch in der Nachkriegszeit das Klima. 

Iryna Pap

Wichtige fotografische Zeugnisse aus dem Leben in der Ukraine in den 50er und 60er Jahren sind durch das Werk von Iryna Pap (1917-1985) erhalten. Pap, die 1941 am Ukrainischen Institut für Kinematographie graduierte und dann mit ihren Eltern vor den Nazis fliehen musste, kam nach dem Krieg nach Kyiv zurück und arbeitete ab 1958 für die “Iswestija”. Sie war eine der bedeutendsten sowjetischen Fotografinnen, die auch eine Fülle von Alltagsszenen fotografierte. Die veröffentlichten Werke waren natürlich durch die “offizielle” Brille der Staats- und Parteibürokratie gefiltert und vermitteln so ein überwiegend positives und heiteres Bild des täglichen Lebens. 

1958, Strand von Kyiv, Iryna Pap
Dnipro, Iryna Pap

Streetphotography am Vorabend der Invasion

Der Fotoklub der Kiewer Fotoschule https://photoschool.kiev.ua/fotoklub/blog/1295-pau-buscato plante für den 10. April eine Fototour nach Tschernobyl, genauer: in die “Geisterstadt Pripyat”. Angesichts des imperialistischen Überfalls auf die Ukraine und die offensichtliche Eroberung der Region rund um Tschernobyl durch russische Truppen ist es unwahrscheinlich, dass diese Veranstaltung stattfinden wird. Schon vorher haben Mitglieder des Klubs beeindruckende Fotos aus der Sperrzone veröffentlicht.

Припять. Детский сад.
Припять Чернобыль фототур

Auch auf der Seite http://kiev-foto.info/ru/ finden sich sehr eindrucksvolle Streetaufnahmen. 

Erster Schnee in Kyiv

Natürlich kann man auch in den “sozialen” Medien fündig werden. Dort bin ich etwa auf Igor Levchenko gestoßen, dessen Alltagsaufnahmen mitunter wirklich witzig sind.

Dieser kleine Beitrag soll in erster Linie eine Anregung sein, selbst auf die Suche nach Fotografinnen und Fotografen in und aus der Ukraine zu gehen. Auch das ist eine Möglichkeit, etwas mit der Bevölkerung eines Landes zu erfahren, der unsere Solidarität gebührt!

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