FOTO ARSENAL WIEN (im MQ): Zwei bemerkenswerte Ausstellungen

Im Museumsquartier in Wien (der vorläufigen Heimstatt des Foto Arsenal Wien) sind zur Zeit zwei bemerkenswerte Ausstellungen zu sehen, die ich den Leserinnen und Lesern von complexityinaframe uneingeschränkt empfehlen möchte: einerseits “Play and Punish”, ein visuelles Projekt der jungen polnischen Fotografin Karolina Wojtas; andererseits “On Abortion” der katalanischen Fotografin Laia Abril.

Beide Ausstellungen zeigen Ergebnisse von Langzeitprojekten, beide sind Teil eines “work in progress”, weil die Thematik für beide Künstlerinnen keineswegs erschöpft ist.

Ausgangspunkt für Wojtas Beschäftigung mit Erziehung und Schule war die polnische Schulreform von 2017. Die Änderung des Schulsystems durch die Regierung der Partei “Recht und Gerechtigkeit” (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die zum zweistufigen Schulsystem aus 8-jähriger Grundschule und weiterführender Schule zurückkehrt, wie es bis 1998 bestand, fügt sich in den konservativen Umbau der polnischen Gesellschaft ein. Die Reform bedeutete einen Rückschritt in der Schaffung von gleichen Chancen für Kinder aus sozial schwächeren Familien.

Karolina Wojtas Fotos sind teilweise surrealistisch anmutende Verfremdungen der Wirklichkeit – sie legen aber deutlich Widersprüche im Erziehungssystem bloß. Wo beginnt Lernen, Spielen oder Zwang und Abrichtung? Kuratiert von Foto-Arsenal-Leiter Felix Hoffmann geht man in einen Teil der Ausstellung wie in eine große, überdimensionale Spielwelt hinein. Fotos und Collagen auf großen Schaumstoffwürfeln und Bausteinelementen laden zum Spielen ein – wenn man aber einige der aufgedruckten Bilder genau betrachtet, vergeht einem aber manchmal das Vergnügen.

Gar nicht lustig, was mit Kindern so passiert. Siehe den zweiten Würfel links oben.

Heftig eine große Wand mit Blanko-Maturazeugnissen, deren Symbolwert sich erschließt, wenn man den Begleittext liest:

127 Zeugnisse
Immer wieder taucht auf den Fotos von Wojtas das Porträt ihres kleinen Bruders auf, dessen Schulerfahrungen zweifellos eine wichtige Inspirationsquelle sind.

Die Ausstellung ist bis zum 10. März 2023 zu sehen.


Karolina Wojtas

Laia Abrils “On Abortion” ist Teil ihres Langzeitprojekts “A History of Misogyny” (Eine Geschichte der Frauenfeindlichkeit). Wien ist als Ausstellungsort auch deswegen für die rund 130 Fotos und Objekte ein gut gewählter Ort, weil Abril ihre Recherchen zu diesem Thema im im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch begonnen hat. Sie zeigt die Folgen – individuell und gesellschaftlich – die eintreten, wenn Frauen keinen legalen, sicheren und kostenlosen Zugang zur Abtreibung haben.

Laia Abril

Die gezeigten Arbeiten zeigen, mit welcher Akribie und welchem breiten Horizont die Fotografin an das Thema herangeht. Zu Beginn der Ausstellung sieht man Fotos aus dem oben verlinkten Museum für Verhütung, die einen historischen Rahmen abstecken. Zentrales Thema sind Frauenschicksale in Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch illegalisiert oder eingeschränkt wird.

Abril vor dem Porträt einer jungen Polin, die ihre Erfahrung mit einem illegalen Schwangerschaftsabbruch tagebuchartig dokumentiert, Abril hat daraus eine Art fotografische Graphic Novel entwickelt.

Nicht fehlen darf die Dokumentation des offenen Terrors gegen Ärzte und Ärztinnen, die in Ländern, in denen die Abtreibung prinzipiell legal ist/war, Frauen helfen. Gerade die USA haben hier eine unrühmliche Geschichte vorzuweisen. Abril hat sich diesem Thema auf eine besonders behutsame Weise angenähert: sie verzichtet auf Porträts der Bedrohten (immerhin hat es Bombenanschläge und Morde gegeben). Vor Steckbriefen, mit denen Abtreibungsgegner gegen Ärzte und Kliniken hetzen und ihren Hassphantasien freien Lauf lassen, kann man an einem Telefon Mitschnitte von Drohanrufen hören, denen das medizinische Personal ausgesetzt ist.

Kurator Felix Hoffmann vor dem “Hasstelefon” (Foto Arsenal Wien)

Erfreulich, dass gesellschaftlich relevante Themen mit fotografischen Mitteln vermittelt werden. Hoffentlich eine Anregung für junge Fotografinnen und Fotografen.

Kurt Lhotzky

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