
1. Selbstermächtigung durch Analog-Fotografie
Bárbara Morais, eine autodidakte Fotografin aus Nordportugal, arbeitet bewusst jenseits der digitalen Alltagsgeschwindigkeit. Mit alternativen analogen Techniken wie Cyanotypie, Chlorophylldruck, Wet‑ und Trockenplatten, Mordançage und hausgemachter Film- bzw. Fotopapierentwicklung nutzt sie das Medium als persönlichen wie politischen Ausdruck. Diese Praktiken verlangen Zeit, Geduld und chemisches Verständnis – Tugenden, die in einer profit- und wachstumsorientierten, beschleunigten Welt untergehen.
2. Autobiografie im Zentrum
Ihre Ausstellung im Centro Português de Fotografia in Porto erschien autobiografisch: ein Gegenmittel zur modernen Beschleunigung. Morais „retoma o tempo dentro do próprio Tempo“ – sie holt das verlorene Tempo zurück, indem sie das analoge Photolicht bewusst verlangsamt. Jeder Abdruck ist Unikat, unheimlich persönlich, ein Echo von Erfahrungen, Emotionen und Alltagsmaterie – häufig inspiriert vom Landleben und der eigenen Kochleidenschaft.

3. Natur als alchemistisches Labor
Morais setzt nicht nur Silberhalogenide ein, sondern auch Chlorophyll aus Pflanzen. Ihre Chlorophyll-Drucke nutzt sie, um Bilder direkt auf Blättern zu belichten – eine Fusion aus Fotografie, Botanik und Landkunst . Die Chemie wird sinnlich: Entwickler, die nach Feld und Wald duften, lebenden Lichtkreislauf als Bildträger.

4. Gesellschaftlicher Kontext – Fotografie als Gegennarrativ
In den kleinen Dörfern von Trás‑os‑Montes fängt Morais Augenblicke ein, die im Zeitwandel verschwinden. Ihre Bilder sind Zeugnisse einfachen Lebens, die dem Leerlauf digitaler Schnelllebigkeit trotzen. Die Chemie, die Aufnahmen, die Imperfektion – alles verweigert sich der Norm und institutionellen Erwartungen, verweist auf das Politische in der Photografie.
5. Ausstellung & Publikumseinbindung
Die Präsentation im CFP war kein reiner Augenschmaus, sondern eine Einladung zum Dialog: Morais nahm aktiv teil, diskutierte ihre Techniken in „Conversas no CPF“, einem Event, da am Internationalen Frauentag stattfand. Ihre Praxis öffnet sich: zum Austausch, zur Bildung, zur gemeinsamen Rückeroberung eines entschleunigten Blicks.
Fazit – Der Essay in Kürze

Bárbara Morais zeigt, wie analog‐chemische Fotomethoden nicht nur visuell beeindrucken, sondern auch als politische Gesten fungieren: Sie entziehen sich der Norm, verteidigen Zeit und Materie, reflektieren Identität. Ihre Arbeiten führen uns zurück in die alchemistische Wurzel der Fotografie – als entschleunigtes, sensorisches, intimes Gegenmodell zum digitalen Überfluss. In Porto wurde diese Haltung sichtbar: als persönliches Experiment, als autobiografisches Statement und als kultureller Beitrag, der uns einlädt, unser eigenes Verhältnis zu Bild, Natur und Zeit zu hinterfragen.
Kurt Lhotzky