Retro-Romantik auf 35 Millimetern – eine kleine Liebeserklärung an ein Stück Glas

Ich gebe es zu: Ich habe ein neues Objektiv. Und ja, es war billig. Also wirklich billig. Keine Sonderedition, kein proprietäres RF-Wunder, keine KI-Automatik, keine Randschärfenkorrektur aus der Zukunft. Nein: Das Pergear 35mm f/1.4 – eine rein manuelle Festbrennweite, die direkt beim Hersteller rund um die 100,– EURO kostet.

Aber was soll ich sagen? Ich mag es. Ich mag es sogar sehr.

Vielleicht, weil es mich zwingt, langsamer zu sein. Manuell zu fokussieren. Hinzusehen. Nicht einfach darauf zu vertrauen, dass der Autofokus schon alles richtig machen wird. Sondern zu fotografieren. Dieses Ding aus Metall und Glas (ja, es fühlt sich tatsächlich solide an – kein Plastikspielzeug von Temu) erinnert mich daran, dass Fotografie nicht nur eine Frage des Budgets sein sollte, sondern des Blicks.

Gut, zugegeben: Ich hab das Objektiv auf eine Canon EOS R geschnallt, was irgendwie nach dem Motto klingt: „Champagner aus dem Blechbecher“. Aber: auch die Kamera habe ich neuwertig und trotzdem preiswert im Rahmen einer Aktion erstanden.

35 Millimeter – das ist die Brennweite der Straße, des Augenblicks, der schnellen, aber nicht flüchtigen Begegnung. Kein Zoom, kein Blendwerk. Dafür Nähe. Präsenz. Und wenn man ein bisschen das Licht lesen kann (oder lernen will, es zu lesen), macht dieses kleine Retro-Ding erstaunlich stimmungsvolle Bilder. Auch Landschaften gelingen – nicht im kitschigen Kalenderstil, sondern mit dem gewissen melancholischen Understatement.

Theoretisch könnte ich mir auch ein sündteures RF-L 35mm kaufen. Aber wirklich nur theoretisch. Denn Fotoequipment macht das Fotografieren zunehmend zu einer Klassenfrage. Während sich viele Menschen fragen, wie sie die nächste Stromrechnung zahlen sollen, werfen sich andere mit Achselzucken ein 2.300-Euro-Objektiv in den Warenkorb. Die Kamera als Statussymbol, das Objektiv als Rolex der Nerds. Befeuert durch Fotozeitschriften, Vlogger und Blogger, die neueste Hardware anpreisen, die bei den Anschaffungskosten eines Mittelklassewagens liegt.

Mein Pergear kann keine EXIF-Daten liefern, keine chromatische Aberration wegrechnen und keinen Autofokus piepsen. Aber es zwingt mich, beim Fotografieren nachzudenken. Mich zu bewegen. Und vor allem: zu sehen.

Und letzten Endes zählt doch das Bild – nicht das Preisschild.

Warum ich gerne manuell fokussiere

Das Pergear 35mm f/1.4 bietet keinen Autofokus, kein elektronisches Gedöns, nicht einmal EXIF-Daten. Dafür: Metall, Glas – und überraschend viel Charakter.

Und siehe da: Plötzlich macht es wieder klick – nicht nur in der Kamera, sondern auch in meinem Kopf. Manuelles Fokussieren zwingt zur Aufmerksamkeit, zur Auseinandersetzung, zur Entschleunigung. Fotografieren wird wieder zur Tat – nicht zur Dauerschleife mechanischen – pardon: elektronischen – Draufhaltens.

Die 35 mm? Für mich das perfekte Maß: nah genug fürs Menschliche, weit genug fürs Atmosphärische. Street, Architektur, Landschaft – alles ist möglich, wie’s beim Lotto so schön heißt.

Die Schwarzenberg-Gruft in Trebon ist ein beliebtes touristisches Highlight
Schwarzenberg-Gruft in Třeboň

Die Aufnahme der Schwarzenberg-Gruft in Třeboň – Blende 8, Gegenlicht, graue Stunde – hat mir gezeigt: Dieses Objektiv hat Seele. Und es verlangt eine. Wer sich drauf einlässt, wird mit Tiefe belohnt – auch ganz ohne Tiefenschärfeorgien oder Bokeh-Kult. Ein bisschen Retro vielleicht. Aber Retro im besten Sinne: bewusst, reduziert, verbunden mit dem, was war – und offen für das, was kommt.

Bei Preisen, bei denen ein Tele mittlerweile mehr kostet als ein Monatslohn, ist so ein kleines Pergear ein fast trotziges Statement. Gegen die Entfremdung, gegen den Gear-Wahn, für das Auge. Und fürs Herz.

Und dass dieses Objektiv mehr kann als gotische Grabeskälte, zeigt es mir spätestens in den Gassen von Třeboň.

Manuell klappt auch in Farbe

Ein kleines Wunder: Die Farbwiedergabe wirkt wie durch ein leicht gealtertes Zelluloid-Filter – kein HDR-Overkill, keine algorithmisch nachgeschärfte Plastikwelt. Stattdessen: Abendstille. Häuser, die sich wie zurückgelehnt aneinander schmiegen. Ein Himmel, der nichts will, außer in Ruhe Rosa sein.

Und genau das ist der Punkt: Diese Linse – und mit ihr die manuelle Fotografie – erlaubt etwas, das in unserer technikverliebten Blendenf/1.2-Zeit fast vergessen wurde: das Unaufgeregte. Das Präzise durch Langsamkeit. Das Gesehene, nicht nur Geknipste. Dass ein Objektiv um unter 100 Euro solche Stimmungen transportiert, grenzt fast an eine Rebellion des Sehens gegen das Übertechnisierte.

Es gibt Motive, die Raum für Interpretationen bieten. Manchmal klappt „Storytelling“ sogar mit Einzelbindern, wenn man nur sich darauf einlässt. So wie dieses Schachspiel, aufgenommen im Vorübergehen, irgendwo zwischen Espresso und Sommergetränk.

Schwarzweiß zum Quadrat

Die Figuren? Eigenwillig stilisiert, wie kleine Bürokraten, Denker, Wartende. Vielleicht auch: Funktionäre, ein gespaltenes Politbüro in der Sommerfrische (wobei die weiße und die schwarze Fraktion jederzeit bereits ist, mit Bedacht auf die andere Seite loszugehen)?

Die Szene wirkt gestellt, ist aber echt – und hier zeigt sich, warum ich dieses manuelle 35mm-Objektiv liebe. Der Fokus sitzt dort, wo ich ihn haben will, nicht da, wo ein Chip glaubt, dass er hinmuss. Die Tiefe ist reduziert, der Blick gelenkt. Das Quadrat als Format tut sein Übriges: Es zwingt zur Klarheit. Es konzentriert. Und das Schwarzweiß? Nicht nostalgisch, sondern notwendig. Farbe hätte dieser Szene die Sprache verschlagen.

Kurzum: Mit diesem Glas kann ich Bilder machen, die erzählen, ohne zu schreien. Und vielleicht sogar Bilder, die (wie die beste Street-Fotografie) leise Kritik üben: an einer Welt, in der das Leben immer teurer wird – und das Denken immer schneller.

Ein paar technische Daten

Ich meide aus gutem Grund Handware-Vorstellungen auf meinem Blog. Die Technik ist nicht so meines, und das Auswerten ausgetüftelter Benchmarks überlasse ich denen, die (hoffentlich) wissen, wovon sie sprechen. Aber klar – wenn man schon ein neues Lieblingsobjektiv vorstellt, muss man auch ein paar technische Angaben machen. Aber seid nachsichtig, wenn vielleicht der eine oder andere Begriff nicht ganz “sitzt” – das ist, wie gesagt, nicht meine (Foto)Welt.

Das Pergear 35mm f/1.4 ist kein Objektiv für Statistikfreunde oder Testchart-Leser. Es ist – bei aller optischen Leistung – ein Werkzeug, das ganz bewusst zum selber machen auffordert. Kein Autofokus, kein Bildstabilisator, keine elektronische Kommunikation mit der Kamera. Und trotzdem (oder gerade deshalb) ist es an der EOS RP überraschend praxisfreundlich.

Zum einen liegt das an der kompakten Bauweise: Trotz seiner hohen Lichtstärke bleibt das Objektiv klein und vergleichsweise leicht – es trägt nicht auf, macht die Kamera auch auf längeren Streifzügen durch die Stadt nicht kopflastig. Die Fokussierung erfolgt vollständig manuell, aber dank der Fokuslupe und dem präzisen Fokus-Peaking der EOS RP lässt sich die Schärfe punktgenau setzen – auch bei Offenblende. Wer sich darauf einlässt, entdeckt schnell, wie sehr diese bewusste Schärfesetzung zur Bildgestaltung beiträgt. Das Arbeiten wird langsamer, aber nicht behäbig – eher kontrollierter, überlegter. Man lässt sich auf ein Motiv ein.

Der Fokusring läuft angenehm gedämpft, nicht zu leichtgängig, mit ausreichend Weg für feine Justierung. Die Blende rastet in halben Stufen – eine eher klassische Lösung, aber beim Drehen sind die Klicks deutlich spürbar, ohne dass sie stören würden. Wer öfter zwischen 1.4 und 2.0 pendelt, wird das zu schätzen wissen.

Auch mit adaptiertem Vintage-Look – was das Pergear zweifellos bietet – lässt sich damit sehr gezielt arbeiten. Die Kontraste sind weich, aber nicht flau, die Schärfe ist da, wo sie sein soll. Streulichtanfälligkeit und chromatische Aberration sind, wie zu erwarten, eher oldschool – ein Sonnendach hilft, aber entscheidender ist, dass man damit umgehen lernt.

Das Pergear ist damit kein Gimmick, sondern ein Werkzeug. Wer sich von der Technik emanzipiert, bekommt ein kompaktes, unaufgeregtes, überraschend vielseitiges Objektiv, das bewusstes Sehen fördert. Für Street, Reportage, Porträt mit leichtem 35er-Blick – ein erstaunlich verlässlicher Begleiter.

Kurt Lhotzky

Dieser Artikel ist keine Werbung, das beschriebene Objektiv wurde regulär im Internet gekauft!

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