Le Stanze della Fotografia — Ein Porträt

Wer in Venedig von der Piazza San Marco mit dem Vaporetto auf die Insel San Giorgio Maggiore übersetzt, erlebt seit 2023 eine kleine, aber deutliche kulturelle Neugründung: Le Stanze della Fotografia ist kein weiteres Boutique-Museum für Touristen-Selfies, sondern der Versuch, der Fotografie in der Stadt wieder einen institutionellen Ort zu geben — und zwar außerhalb der permanenten “Wir-sind-ja-so- innovativ-Hysterie” der Biennale. Die Initiative entstand aus einer Kooperation zwischen der Fondazione Giorgio Cini und Marsilio Arte, die damit die 2012 begonnene Arbeit am Fotoprogramm (zuvor u. a. in der Casa dei Tre Oci) fortführt.

Räumlich ist das Projekt so pragmatisch wie sinnvoll: In einem historischen Gebäude auf San Giorgio (einer ehemaligen Lagerhalle / Schule der Cini-Stiftung) stehen zwei Etagen mit insgesamt knapp unter 2.000 m² Ausstellungsfläche zur Verfügung. Die Architekten und Ausstellungstechniker setzen auf eine sehr flexible Raumstruktur — hohe Decken, sichtbare Holzbinder und ein System verschiebbarer, an Trägern aufgehängter Wände — wodurch sich die Räume variabel an die Bedürfnisse großer Retrospektiven genauso anpassen lassen wie an kleinere, dichter gehängte Präsentationen. Dieses Material-und-Raum-Design ist Teil der Identität des Hauses: solide, etwas nüchtern, auf die Bildwirkung fokussiert.

Die programmatische Ambition ist klar formuliert: Le Stanze soll kein saisonales Pop-Up sein, sondern ein dauerhafter Ort für monografische Ausstellungen, Editionen und Forschungsprojekte zur Fotografie. In kurzer Zeit fanden hier bereits gewichtige Ausstellungen statt — Ugo Mulas zur Eröffnung, große Präsentationen zu Helmut Newton oder Paolo Pellegrin und nun die Mapplethorpe-Retrospektive — allesamt kuratiert mit dem Blick auf historische Tiefe und breite Zugänglichkeit. Die künstlerische Leitung liegt bei Denis Curti; er versteht das Haus als Brücke zwischen italienischer Fotografie-Tradition und internationalen Sammlungsprojekten.

Wie wurde das Projekt aufgenommen? In der Kulturpresse herrscht überwiegend Anerkennung: Manche Rezensentinnen begrüßten, dass Venedig damit endlich wieder einen beständigen Ort bekommt, an dem Fotografie systematisch gezeigt und untersucht wird — also kein reines Event, sondern institutioneller Aufbau. Magazine wie “Apollo” oder Stadt-Guides wie “Time Out” lobten Lage und Programm, hoben aber zugleich die Herausforderung hervor, dass sich ein dauerhaftes, forschendes Museum in einer Stadt wie Venedig gegen touristische Erwartungen und Kurzzeitbesucherinnen behaupten muss. Auch internationale Medien wie der “Miami Herald” wiesen auf die symbolische Bedeutung hin: ein neues, festes Fotografie-Haus direkt gegenüber vom Markusplatz. Kurz: Lob für Ambition und Standort — gemischte Hinweise zur langfristigen Nachhaltigkeit in einem touristisch überreizten Umfeld.

Besucherinnenstimmen und Onlinerezensionen spiegeln diese Ambivalenz: Viele heben die Qualität der Hängung, die Großzügigkeit der Räume und die inhaltliche Stringenz der Ausstellungen hervor; manche Kommentatorinnen auf Reiseportalen bemängeln Wartezeiten, Ticketpreise und das unvermeidliche Kommen-und-Gehen von Tagesbesucher*innen. Das ist wichtig für die Deutung: Le Stanze operiert an der Grenze zwischen ehrgeizigem Museumsbetrieb und Publikumserwartung — ein Drahtseilakt, den viele moderne Kulturinstitutionen in touristischen Hochburgen kennen.

Aus kuratorischer Sicht ist Le Stanze auffällig ambitioniert, weil es klassisch-moderne Retrospektiven mit Forschungsanspruch verbindet: Man will nicht nur schöne Bilder zeigen, sondern Werkgeschichten erzählen, Editionen editieren und durch Kataloge Nachschlagewerke liefern.

Das erklärt, warum die Mapplethorpe-Schau hier nicht als plakative Provokations-Show angelegt ist, sondern als formgeschichtliche Lesung — genau der Rahmen, in dem Mapplethorpes klassische Form-Rhetorik tatsächlich sinnvoll verhandelt werden kann. Wer sich also die kontroversiell diskutierten Arbeiten über Bondage, Homosexualität und explizite Nacktbilder erwartet, wird in Le Stanze enttäuscht (mehr dazu im kommenden Bericht über die Ausstellung hier auf complexityinaframe).

Kurz gesagt — und ohne Feuilleton-Romantik: Le Stanze della Fotografia ist ein gut ausgestatteter, lokal verankerter Versuch, Fotografie in Venedig dauerhaft sichtbar und wissenschaftlich anschlussfähig zu machen. Die Rolle, die das Haus künftig spielen wird, hängt davon ab, wie es die Balance hält zwischen großformatigen Namen (die Besucher*innen bringen) und tiefen, forschenden Programmen (die Reputation schaffen). In Zeiten schrumpfender Kulturförderung ist das eine ehrgeizige Agenda — und eine, die man von einem neuen Fotohaus in einer Stadt wie Venedig ruhig erwarten darf.

Kurt Lhotzky

lestanzedellafotografia.it

Vaporetto Linie 2

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