
Baden, 13. Juni 2025. Das internationale Fotofestival La Gacilly-Baden Photo hat mit einem vielschichtigen Eröffnungsabend seine Pforten geöffnet. In der Kurstadt Baden, wo sich seit Jahren Bilder aus aller Welt mit sommerlicher Eleganz und politischer Tiefenschärfe entfalten, stand zum Auftakt nicht nur die Kunst im Mittelpunkt – sondern auch ein bewegendes humanes Anliegen: die kaum beachtete Krankheit ME/CFS.
Zwischen Fotografie und Verantwortung
Nach einer kurzen Begrüßung durch Silvia Lammerhuber, kaufmännische Direktorin des Festivals, eröffnete Festivalleiter Lois Lammerhuber das diesjährige Thema: Australien & Die neue Welt. Vorher gab es eine Schweigeminute für die Opfer des Amoklaufs in Graz – dieses tragische Ereignis wurde auch in einigen der Festreden angesprochen, ein Beweis, wie sehr diese Gewalttat die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit erschüttert hat. Es folgten Reden von politischen und diplomatischen Funktionsträger*innen – höflich, freundlich, garniert mit Bekenntnissen zu Kunst, Nachhaltigkeit und Dialog. Ich verzichte allerdings darauf, die mitunter sehr getragen vorgetragenen Positionen an der Politik der Regierungen der jeweils vertretenen Länder auf den Gebieten Umwelt, Gesundheit und Kultur zu messen.


Ganz anders – ganz unmittelbar – war hingegen der Moment, als der südafrikanische Fotograf Brent Stirton in einer Videobotschaft seine Arbeit über ME/CFS vorstellte. Stirton, bekannt für seine bildgewaltigen Reportagen aus Konflikt- und Krisengebieten, sprach mit spürbarer Betroffenheit über das stille Leiden, das Millionen weltweit betrifft (in Österreich leiden rund 80.000 Menschen an ME/CFS!) – und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird.
Dann betrat Kornelia Spahn mühsam das Podium.
Das Unsichtbare sichtbar machen: Kornelia Spahn spricht über ME/CFS
Es folgten wohl die bewegendsten Momente des Abends. Kornelia Spahn, selbst schwer an ME/CFS erkrankt, beschrieb eindrucksvoll, wie sich die Krankheit für Betroffene „anfühlt“ – oder vielmehr: wie sie den Körper und das Leben regelrecht lahmlegt. Kein Pathos, keine großen Gesten – aber jedes Wort traf. Es war ein Moment der tiefen Würde, in dem sich die Frage stellte, wie viel Kraft es wohl kostet, als Erkrankte überhaupt vor Publikum zu sprechen. Der Applaus war lang, ehrlich, betroffen.

Rudi Anschober, ehemaliger Gesundheitsminister und nun engagierter Unterstützer der ME/CFS-Initiative we&me, sowie Gerhard Ströck, gaben der Thematik zusätzlich politische und zivilgesellschaftliche Tiefe. Was hier begonnen wurde, ist mehr als ein Side-Event: Es ist ein Appell, Krankheit sichtbar zu machen – durch Fotografie, durch Worte, durch Solidarität.

In Memoriam: Christine de Grancy & Sebastião Salgado
Zwei große Verluste bestimmten ebenfalls die Dramaturgie des Abends. Schauspielerin Mercedes Echerer erinnerte mit ruhiger Intensität an die österreichische Fotografie-Doyenne Christine de Grancy, die im März verstorben ist. In ihrer Hommage verband sie persönliche Erinnerungen mit feministischer Perspektive – ein seltener Moment der Gerechtigkeit für eine Frau, die zu oft im Schatten stand.

Auch der große brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der am 23. Mai verstarb, wurde geehrt. Cyril Drouhet, ein enger Freund Salgados, fand die richtigen Worte: nicht sentimental, sondern mit jenem tiefen Respekt für die politische und ästhetische Kraft der Fotografie, wie sie Salgado über Jahrzehnte verkörperte.
Bilder, Musik, Atmosphäre
Nach der offiziellen Eröffnung traten die anwesenden Fotograf*innen – Matthew Abbott, Adam Ferguson, Anne Zahalka, Viviane Dalles, Georg Steinmetz, Ulla Lohmann, Gael Turine, Hans-Jürgen Burkard, Herbert Frei, Alfred Seiland, Isolde und Dieter Bornemann und Markus Eisl – auf die Bühne. Ein Moment der kollektiven Würdigung, der in der offiziellen Eröffnung des Festivals gipfelte.

Im zweiten Teil verschmolzen Fotografie und Musik: Auf eine 11 × 4 Meter große Leinwand projizierte Bilder der Ausstellung trafen auf die „Appalachian Spring Suite“ von Aaron Copland, gespielt vom Beethoven Frühling Festival-Orchester unter der Leitung von Dorothy Khadem-Missagh. Eine audiovisuelle Symbiose, die das Publikum sichtlich berührte – eine Art kontemplativer Schlussakkord, bevor der Abend im Max-Reinhardt-Foyer bei einem Empfang ausklang.

Das Festival La Gacilly-Baden Photo 2025 bleibt ein Forum für große Fotokunst – aber es ist auch eine Plattform für Empathie und Aufklärung. Der von Lois Lammerhuber erwähnte Begriff der “concerned photography” materialisierte sich schon bei der Eröffnung in der Praxis.
Sowohl in La Gacilly in der Bretagne als auch in Baden geht es nicht um abstrakte “schöne Bilder” – die gezeigten Fotografien zeigen die Welt in ihrer Vielfalt und ihrer Schönheit, aber sie zeigen auch die Narben, die der Mensch der Natur schlägt. Heiße Themen werden facettenreich abgehandelt – der Frage, wie viele Menschen der Planet ernähren kann (George Steinmetz) wird die ganz naheliegende Vergeudung von Lebensmitteln in österreichischen Haushalten (Isolde und Dieter Bornemann) gegenübergestellt.
Der Mut, dem Thema ME/CFS eine Bühne zu geben, kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Immerhin gibt es ja politisch immer einflußreichere und sogar in Landesregierungen vertretene Parteien, die die Existenz von Pandemien schlichtweg leugnen und lieber angeblichen “Impfopfern” helfen, statt den tasächlichen Opfern von COVID und ME/CFS. En passant sind das auch Parteien, die den Klimawandel ignorieren und stattdessen vor “Chemtrails” zittern. Hier zeigt sich die Macht der Fotografie, die allen, die sehen können und sehen wollen, ein Bild der Welt, wie sie ist, vermitteln kann.
“Australien und die neue Welt” heißt das diesjährige Generalthema des Festivals in Baden. Vielleicht ist das ja die neue Welt, die dieses Festival meint: eine, in der Kunst nicht nur zeigt, sondern handelt.
Kurt Lhotzky
Hinweis: Dieser Bericht darf gerne zitiert und geteilt werden – insbesondere zur Unterstützung der ME/CFS-Initiativen in Österreich. Mehr zur we&me-Stiftung: www.weandme.net
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