
Beim Fotofestival La Gacilly Baden begegnete ich erstmals Bobbie Lockyers Werk – und war sofort gefangen. Ihre Bilder sind wie ein Farbexplosion: kraftvoll, sinnlich, unmissverständlich. Doch hinter der ästhetischen Fassade verbirgt sich eine politische Botschaft, die unter die Haut geht. Hier ist die Geschichte einer Künstlerin, die mit ihrer Kamera die koloniale Dominanz herausfordert.

“Meerjungfraukönigin” mit Kamera: Wer ist Bobbie Lockyer?
Mit pinkem Haar und einem unübersehbaren Sinn für das Spektakuläre inszeniert sich Bobbie Lockyer selbst als lebendes Kunstwerk – doch ihre wahre Macht entfaltet sie hinter der Linse. Die multidisziplinäre Künstlerin (geboren in Port Hedland, Kariyarra-Land) stammt aus den Völkern der Ngarluma, Kariyarra, Nyul Nyul und Yawuru und verbindet in ihrer Arbeit traditionelles Handwerk mit digitaler Avantgarde.
Ihr Markenzeichen: Leuchtende Farben, die an die Landschaften Nordwestaustraliens erinnern, kombiniert mit Motiven, die indigene Weiblichkeit feiern – ohne sie zu exotisieren. 2021 wurde sie als NAIDOC-Künstlerin des Jahres geehrt, doch ihr Aktivismus reicht weit über die Galerien hinaus. (Das Akronym NAIDOC steht für National Aboriginal and Islanders Day Observance Committee).
Gebären als politischer Akt: “Birthing on Country”
Lockyers Engagement für “Birthing on Country” ist Schlüssel zum Verständnis ihrer Kunst. Diese Bewegung fordert das Recht indigener Frauen, auf traditionellem Land zu gebären – begleitet von Hebammen ihrer Community und spirituellen Ritualen.

Dahinter steht mehr als medizinische Autonomie:
- Landrechte: Kinder, die auf dem Land ihrer Ahnen geboren werden, symbolisieren ungebrochene Souveränität.
- Trauma-Heilung: Ein Gegenentwurf zu den “Stolen Generations”, als staatliche Behörden zehntausende Kinder zwangsentführten.
- Feministische Revolte: Indigene Mutterschaft wurde kolonial als “primitiv” diffamiert – Lockyer macht sie zur Ikone der Stärke.
Das Referendum 2023: Eine demütigende Niederlage
Ihre Arbeit gewinnt vor dem Hintergrund aktueller Rückschläge an Dringlichkeit: Im Oktober 2023 lehnte Australien in einem historischen Referendum die Anerkennung der First Nations in der Verfassung ab. Eine Entscheidung, die Lockyer als “koloniale Kontinuität” kritisiert: 96% der Aborigines stimmten für die Anerkennung – doch die weiße Mehrheit sagte Nein.
Bobbie ist eine unermüdliche Kämpferin gegen den systemischen Rassismus der australischen Mehrheitsgesellschaft: Bis heute sterben indigene Frauen in Haftanstalten unter mysteriösen Umständen (siehe Tanya Day, Ms. Dhu).
Kunst kann eine mächtige Waffe sein: Lockyers Serie “Ngalangka Nidja” (“Dies gehört uns”) zeigt Frauen mit traditionellen body paintings vor Bergbaugebieten – eine „stille Besetzung“ oder Rückeroberung?
La Gacilly und Baden: Warum Europa Lockyer braucht

Auf dem Festival wirken ihre Bilder wie ein ästhetischer Gegenpol zur europäischen Indigenen-Romantik. Statt “edler Wilder” zeigt sie:
- Urban Indigeneity: Junge Aborigines in Streetwear, geschmückt mit Ocker-Tattoos.
- Klimakämpfer: Ihre Fotos dokumentieren, wie Sacred Sites durch Bergbau zerstört werden.
- Digitale Ahnen: Filter, die Gesichter mit Clan-Symbolen überlagern – Tradition im Instagram-Zeitalter.
Hinter den Kulissen: Lockyers Netzwerk aus Kunst und Aktivismus
Bobbie Lockyer arbeitet mit namhaften Partnern zusammen, die ihr Schaffen professionalisieren und multiplizieren – darunter Nikon Australia (als Markenbotschafterin für indigene Perspektiven), die National NAIDOC Committee (offizielle Kunstpreis-Trägerin 2021) und NGOs wie Original Power (Klimagerechtigkeit für First Nations). Kommerzielle Kollaborationen mit Labels wie Clothing The Gaps (Mode-Aktivismus), Apple oder Bábbarra Women’s Centre (Textil-Kooperativen) zeigen: Ihre Kunst finanziert den Kampf. Selbst Bergbaukonzerne wie BHP mussten sich in Kampagnen mit ihren Forderungen auseinandersetzen und guten Willen gegenüber den First Nations demonstrieren – Beweis genug, dass auch pinkfarbige Meerjungfrauköniginnen im hier und jetzt durchaus ernst genommen werden müssen.
Ihre Kunst ist kein “Ethno-Exotismus” für Galerien, sondern Überlebensstrategie. Jedes Bild erzählt: “Wir waren nie erobert. Wir weben unsere Geschichten weiter – durch Nadel, Pinsel und Pixel.“
Kurt Lhotzky
Zum Weiterlesen:
Bringing Them Home Report: https://humanrights.gov.au/our-work/bringing-them-home-report-1997 (Stolen Generations)
– [Deathscapes](https://www.deathscapes.org.au/) (Dokumentation rassistischer Gewalt in Australien, nur noch über Archivseiten auffindbar)
– Lockyers aktuelle Kampagne: [#BirthrightNotStolen](https://www.birthingoncountry.com/)