Die deutsche Kunsthistorikerin Charlotte Klonk nimmt sich in ihrem Buch “Terror – Wenn Bilder zu Waffen werden” eines brisanten Themas an: Der bildlichen Darstellung von Terror – den Aktionen, den Tätern, den Opfern, der Selbstinszenierung von Menschen, die Terror verbreiten, und deren Gegenspielern.

Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen Medienkonsumenten weltweit, wie einprägsam Bilder des Terrors sind: ein Flugzeug, das sich in einer Anflugskurve dem noch nicht qualmenden WTC-Turm in New York nähert. Die brennenden, fallenden Twin-Towers. Das Bild der “Dust Lady” – einer geschockten

Dust Lady

jungen Frau, die komplett mit Staub bedeckt den Schauplatz des Anschlags verlässt und aussieht wie eine lebende Skulptur; der “Falling Man”, eines der umstrittensten Bilder, das einen der über hundert verzweifelten Menschen zeigt, der – aus welchem Grund auch immer – aus dem einstürzenden und brennenden Rest eines der Türme in die Tiefe springt. Dann das Bild der Feuerwehrleute, die am ground zero die amerikanische Fahne aufziehen – ein in’s 21. Jahrhundert transponierte Zitat des ikonischen Bildes von der Hissung der US-Fahne auf Iwojima.

Und – wie viele Bilder haben Sie vor Augen gehabt, als Sie diese Auflistung gelesen haben? Das ist der Fluch des “Zeitalters der Bilder” – bestimmte Abbildungen prägen sich in unser visuelles Gedächtnis ein, begleiten uns, auch wenn wir keinen “Bildtext” mehr damit assoziieren.

Christine Klonks Ansatz ist insofern bemerkenswert, als sie in der Einleitung begründet, warum sie den Begriff “Terrorismus” weitgehend meidet. Wer dem einen ein Terrorist ist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer, ein Guerilla, ein Soldat der gerechten Sache. Terror hingegen beschreibt ziemlich präzise einen Akt, der in der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreiten soll. Sie scheut sich nicht darauf hinzuweisen, dass im Kampf gegen “Terroristen” Regierungen unterschiedlichster Art immer wieder Methoden einsetzen, die “selbst zumindest in die Nähe von Terrorhandlungen” kommen (S. 19).

Was den “modernen” Terror vom Terror, sagen wir, in der Antike, unterscheidet, ist seine bildliche Darstellung. Die Verbreitung von Angst ist im Zeitalter der “technischen Reproduzierbarkeit” der Bilder wesentlich einfacher und wirkungsvoller zu bewerkstelligen als in den Jahrhunderten davor.

Klonk beginnt ihre Studie mit dem Attentat auf Zar Alexander I. durch die bäuerlich-anarchistische Bewegung des “Volkswillens” im Jahr 1881. Es war die Zeit vor der großräumigen Verwendung von Fotos – Stiche und Zeichnungen in den Zeitungen brachten den Lesern das schaurige Ereignis in die Stube. Bestimmte Merkmale, die sich bei der Abbildung des Terrors bis heute erkennen lassen,

Scheinbare Authentizität durch blutige Details

tauchen hier schon auf: Die Darstellung des Anschlags selbst, zwischen eher nüchtern, bis hin zu scheinbar ultrarealistisch, mit Explosionsblitzen und zerfetzten Gliedmaßen; dann, in der nächsten Phase, die Darstellung des ermordeten Zaren – würdevoll aufgebahrt. Später dann – die Bilder der verhafteten “Zarenmörder” und ihre Hinrichtung.

Das Attentat auf Alexander I. war insofern eine Wende in der Geschichte des Terrors, als sich jenen, die diese Kampfmethode anwenden wollten, erstmals darüber bewusst wurden, wie schnell sich angsteinflößende Bilder weltweit verbreiteten. Es wurde verlockend, Terror nicht mehr zur Erreichung eines Zieles, sondern zur Generierung eines bestimmten Bildes einzusetzen.

Andererseits erkannten Regierungen, wie gut sich mit der Darstellung von ermittelnden Polizeieinheiten, Bergungsarbeiten nach Anschlägen, möglichst demütigenden Abbildungen von verhafteten “Terroristen” und gar deren Bestrafung bis hin zur Exekution das staatliche Gewaltmonopol zur Beruhigung der Bevölkerung wiederherstellen und legitimieren ließ.

Bilder vom Terror waren und sind aber immer zweischneidig: Sind sie für die eine Seite erschütternde Dokumente des Verbrechens und der Unmenschlichkeit, können sie für die andere Dokumente des Heldenmuts, der Aufopferung, des Sieges über den ein Feind sein.

Zurück zu 9/11 – das erste Fahndungsfoto, das die amerikanischen Behörden von Osama bin Laden veröffentlichten, war im Prinzip ein Flopp. Da lächelte ein gütiger arabischer Papa Schlumpf vom Steckbrief – der sollte hinter diesem Massaker stecken? Schon ein paar Tage später prangte genau dieses Foto auf zigtausenden T-Shirts in Asien und Afrika, Ausdruck der Bewunderung für den “Widerstandskämpfer”, der es den amerikanischen Imperialisten auf ihrem eigenen Territorium heimgezahlt hatte.

Oberschurke, aber eher undämonisch: Das erste Fahndungsfoto von bin Laden
ARCHIV: Ein Steckbrief von Osama Bin Laden auf den Seiten des FBI im Internet, informiert darueber, dass der Terrorist zu den zehn meist gesuchten Personen in den USA gehoert (Foto undatiert). Fast zehn Jahre nach den Anschlaegen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington ist der Al-Kaida-Terrorist Osama in der Naehe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad getoetet worden. Dies teilte der US-amerikanische Praesident Barack Obama am Sonntag (01.05.11) mit. (zu dapd-Text)
Foto: dapd/dapd

Erst im Dezember 2011 fanden die amerikanischen Medien eine adäquate Bildsprache im von George Bush proklamierten “Krieg gegen den Terror”. Ein unscharfes, kontrastarmes Profilbild bin Ladens, das seinen Bart deutlich hervortreten ließ und die bedrohliche Ausstrahlung à la expressionisischer Gruselbilder hatte.

Sehr spannend und erhellend sind Klonks Betrachtungen über die RAF, ihre Aktionen und die Bilder von und über ihre Aktionen.

Einen wichtige Stellenwert, aber keineswegs einen redundanten, räumt die Kunsthistorikerin den Gewalt- und Tötungsfotos und -Videos von Daesh ein. Hier konstatiert sie eine neue Qualität im Einsatz der Bilder als Waffe: Die Bilder dokumentieren nicht mehr die Gewalt, die Gewalt bis hin zum grausamen Morde wird praktiziert, um Bilder zu erzeugen.

Das letzte Kapitel, “Bildethik” beschäftigt sich mit dem Umgang mit Terrobildern. Einige Rezensenten (z. B. im SPIEGEL) kritisieren hier sachte, dass die Autorin keine befriedigenden Antworten anbietet. Ehe ich mich damit auseinandersetze, kurz zu Klonks Position. Sie mahnt – und das scheint mir wichtig zu sein – im Zeitalter der “sozialen Medien”, in denen durch Fotohandys mehr Kameras als jemals zuvor in Umlauf sind, auch von “Privatpersonen” ähnliche ethische Standards ein, wie sie für Berufsfotografen gelten.

Genau das aber ist die Krux der Sache, derentwegen kein verbindlicher Umgang mit Fotos vom Terror angeraten werden kann. Klonks Warnung, dem Terror nicht in die Hände zu spielen, indem man seine Selbstinszenierung, bewusst oder unbewusst, verbreitet, ist sicher gerechtfertigt. Rigide Forderungen nach Veröffentlichungsverboten für bestimmte Bilder treten aber nicht nur zu kurz, sie sind ein Einfallstor für Zensur und staatliche Medienkontrolle. Klonk erhebt diese Forderungen nicht, sie bietet aber jedem, der über ein visuelles Aufnahmegerät verfügt, reichlich Stoff zur (Selbst)Reflektion. Das macht ihr sehr flüssig geschriebenes Buch zu einer Lektüre für Stunden, in denen man sich die Zeit nimmt, über seine eigene Reaktion auf “Bilder des Terrors” nachzudenken.

Charlotte Klonk

Terror

Wenn Bilder zu Waffen werden

S.Fischer, 313 Seiten, 25,70

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