Der 1992 geborene türkisch-kurdische Fotograf Çağdaş Erdoğan ist ein international gefragter Fotojournalist mit Hauptwohnsitz in Istanbul. Seine Berichte aus der Osttürkei wurden unter anderem von BBC, Der Spiegel, The New York Times oder Libération abgedruckt. Im September 2017 wurde er festgenommen, weil er angeblich im  Yoğurtçu Park in Istanbul das Hauptquartier der  Millî İstihbarat Teşkilatı (MİT) , also des türkischen Geheimdienstes, fotografiert habe. In einem Interview mit dem British Journal of Photography stellt Erdoğan klar, dass der Park ein frei zugängliches Gelände ist und keinerlei Hinweise auf eine Fotoverbotszone vorhanden seien.

Erstaunt habe ihn die Verhaftung nicht – zur Zeit sind 170 Journalisten in der Türkei hinter Gittern. Wegen seiner kurdischen Abstammung und einiger Fotos, die er von Aktivisten der als Terrororganisation eingestuften PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gemacht habe, sei ihm auch die Mitgliedschaft in dieser Organisation vorgeworfen worden.

Beim Festival der jungen Fotografie in Paris, CONSTRUCTION(S) wird Çağdaş Erdoğans Projekt “Control” ausgestellt.  Der Fotograf sagt dazu:

“Control” befasst sich mit der dunklen Seite der Nachwirkungen der 2000er Jahre in der Türkei, wo Instinkte mit der Moderne kollidierten. Die Geschichte einer Nacht in Istanbul umfasst Sexarbeiter, Hundekämpfe, Waffengewalt und bewaffnete politische Konflikte. Auf den ersten Blick scheinen diese Aktivitäten alle verschieden zu sein, aber wenn wir uns einmal näher mit diesen Geschichten befassen, können wir sehen, dass sie Teil derselben Motivkette sind. Die Türkei trat nach den 2000er Jahren in die Ära eines neuen politisches Klima ein. Das zunehmend konservative Klima hat bestimmten Ideologien eine Plattform gegeben und gleichzeitig dazu geführt, dass Menschen mit gegnerischen Gedanken verunglimpft und in die Nacht getrieben wurden. Dazu gehören geheime Sexpartys und Hundekämpfe. Bewaffnete politische Konflikte, die durch soziale Probleme und Druck im Land entstehen, tauchen auch nachts auf.

Ich zog 2014 in den Stadtteil Gazi in Istanbul, um das Projekt Night Blind abzuschließen. Ich fotografiere derzeit die bewaffneten politischen Konflikte, Hundekämpfe und Sexpartys, die in Gazi und anderen segregierten  (also: abgetrennten, abgesonderten _ k.l.) Vierteln in Istanbul stattfinden. Der gemeinsame Faktor zwischen den getrennten Vierteln ist, dass die Bewohner hauptsächlich Kurden, Aleviten und Flüchtlinge sind. In jüngster Zeit hat die Regierung den Druck erhöht und testet verschiedene Strategien, um diese segregierten Viertel zu beseitigen. Die Konflikte im Osten des Landes verstärken oft den Druck, der auf diese Viertel ausgeübt wird. Langfristige Projekte wie der städtische Wandel werden eingeführt und die Kultur, die in diesen Stadtvierteln entsteht, wird untergraben. Probleme im Bildungssystem bringen auch Druck und Probleme in die Nachbarschaft. Es gibt einfach nicht genug Schulen in diesen Gebieten, um die Bevölkerung zu versorgen, und es gibt auch nicht genug Lehrer, was dazu führt, dass die meisten Kinder die Schule verlassen, ohne das Gymnasium zu absolvieren”.

Kein Wunder, dass auch “Control” als “Beweismittel” beim Prozess gegen Çağdaş Erdoğan herhalten musste. Dass er letztlich enthaftet wurde, kann nur ein begrenzter Grund zur Freude sein – das Damoklesschwert der Repression schwebt über den Köpfen aller kritischen jungen Journalisten.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert