Boris Friedewald hat in “Meisterinnen des Lichts” Porträts und Fotografien von 55 Fotografinnen aus drei Jahrhunderten zusammengestellt. Gewiss – das Buch ist keine echte Neuerscheinung, sondern die preiswerte broschierte Ausgabe eines auf seine Art bahnbrechenden Werks. Es ist der erschwingliche Preis, der dem Buch hoffentlich jetzt eine größere Verbreitung beschert.

Nicht zufällig rekurriert der Kunsthistoriker Friedewald in seiner Einleitung auf ein Zitat der großartigen Giséle Freund: “Das Auge macht das Bild, nicht die Kamera”. Freund, selbst eine hervorragende Fotografin und zugleich eine hochkarätige Theoretikerin der Fotografie ermöglicht uns mit dieser Perspektivsetzung ein tieferes Verständnis für den berühmten “weiblichen Blick” in der Fotografie. Noch ein Zitat von Freund, das Friedewald dem Buch wie einen Wegweiser voranstellt:

“Nicht viele Frauen üben den Beruf eines Fotoreporters aus, der eine absolute Gesundheit erfordert, Geduld, Neugier und eine offene Geisteshaltung, Geschicklichkeit und Mut in völlig unerwarteten Situationen: alles Fähigkeiten, die Frauen besitzen”.

Zufällig veröffentlichte die französische Tageszeitung “Libération” fast gleichzeitig mit dem Erscheinen der broschierten Ausgabe der “Meisterinnen des Lichts” einen Artikel: “Rencontres d’Arles: Wo sind die Frauen”? Moniert wurde, dass 12 Großausstellungen männlicher Fotografen drei ähnlich gewichtete Ausstellungen von Fotografinnen gegenüber stehen.

Der Brief schloss mit einem Aufruf, 2019, zum 50-Jahr-Jubiläum eines der wichtigsten internationalen Fotofestivals eine 50-50-Parität herzustellen. Unterzeichnet wurde dieser Aufruf von Marie Docher, Fotografin; Elina Brotherus, Fotografin; Karen Knorr, Fotografin; Marjorie Allthorpe Guyton, international Präsidentin der AICA (Vereinigung der Kunstkritiker) ; Sharon Harper, Künstlerin, Professorin an der Harvard University; Wilfrid Estève, Direktor des Hans Lucas Kollektivs; Bernard Demenge, Fotograf; Valérie Jouve, Fotograf; Arno Rafael Minkkinen, Fotograf; Florence Chevallier, Fotografin, Professorin an der Ensa Bourges; Christine Ollier, Historikerin, Ausstellungsleiterin; Zineb Sedira, Fotografin.

Der Artikel führte zu einer internationalen Diskussion und wurde etwa auch im “British Journal of Photography” abgedruckt. Das beweist – die Grundthese von Friedewalds Einleitung ist nach wie vor aktuell: Allzuoft fallen bei Diskussionen oder Darstellungen der Geschichte der “Lichtmalerei” die Namen der großen männlichen Fotografen. Die großartigen Fotografinnen treten in den Hintergrund, sie werden buchstäblich nicht “beleuchtet”.

Die “Meisterinnen des Lichts” zeigen ein “best of”. Quer durch Zeiten und Länder führt uns der Autor, und wir erkennen, wie die Mexikanerin Graciela Iturbide ihr Land und seine Menschen gesehen hat, oder die Inderin Dayanita Singh das ihre.

Bleiben wir bei Iturbide. Über dem Bilde “Mujer Ángel”, das 1979 in der Sonora-Wüste in Mexiko aufgenommen wurde und eine Seri-Indianerin zeigt, findet sich das Zitat der Fotografin:

“Was man sieht, ist eine Synthese aus der eigenen Persönlichkeit und dem mit der Zeit Gelernten. Genau das würde ich die Sprache der Fotografie nennen”. (S. 96).

Nur zwei Seiten weiter wird übrigens Lotte Jacobi vorgestellt, Schöpferin einen meiner Lieblingsfotos: Dem Porträt Lotte Lenyas aus dem Jahr 1928, aufgenommen bei der Pressekonferenz anlässlich der Uraufführung der “Dreigroschenoper”.

Manche “große Namen” fehlen, wie Diane Arbus oder Gerda Taro. Andererseits – das Buch kann und will nur eine Auswahl präsentieren, und vielleicht ist es durchaus pädagogisch, die Irritation über das Fehlen amerikanischer und europäische Fotografinnen von Weltrang durch die Vorstellung afrikanischer und asiatischer Künstlerinnen und Journalistinnen zu überwinden. Das Buch besticht durch die Auswahl und Qualität der Abbildungen ebenso wie durch die klugen Texte.

Kurt Lhotzky

Boris Friedewald

Meisterinnen des Lichts

Prestel, 166 Seiten, 22,70 €

Eine Kurzfassung dieses Blogbeitrags finden Sie in der Kundenzeitschrift des Literaturbuffets BUCHSTABENSUPPE, Ausgabe 10/2018!

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